Adiam Hailesillassie oder die „Vielfalt der Welt“
Das Gesicht des Menschen ist ein Gesicht der Welt. Das Angesicht des Lebens. Soll man malen, was auf einem Gesicht ist, in einem Gesicht oder hinter einem Gesicht? Pablo Picasso hat diese Kopf-Frage gestellt und wegweisende Ausdruckskraft für die Moderne entwickelt: Bei ihm ist das Antlitz des homo sapiens weitgehend dekonstruiert und völlig vom klassischen Porträt gelöst. „Das Geheimnis in uns“ In der Kunst der Adiam Hailesillassie begegnen uns viele Gesichter – und die Vielfalt der Welt. Es sind keine realen Porträts identifizierbarer Personen, sondern vielschichtige Physiognomien der Psyche. Die Bilder erscheinen universell: Sie spiegeln kein Individuum, keine Identität – sie verkörpern vielmehr gerade die Suche nach Individualität und Identität. Es sind gewissermaßen zeitlose Archetypen von Gesichtern, vieldeutig, rätselhaft, geheimnisvoll, manchmal maskenartig - und von suggestiver Faszination. Hier kommt Menschsein zu Gesicht. Nicht von ungefähr trug eine große Hailesillassie Ausstellung von 2013 den Titel „Innere Welten“. Nicht von un gefähr heißt eines ihrer Bilder:
„Das Geheimnis in uns“.
Dabei hat sich die Malerin vom legendären Turiner Grabtuch inspirieren lassen. Sie sagt: „Es steckt ein bisschen ‚was von Jesus darin.“ Und umgekehrt, und ganz säkular, könnte man anfügen: In ihren Bildern steckt auch das innere Gesicht des Betrachters, der über seine Empfindungen und Eindrücke mit dem Sujet kommuniziert.
Die Kunst der Komposition
Die Bandbreite der Arbeiten, längst nicht nur die Gesichts Bilder, zeigen das kompositorische Können der Künstlerin genauso wie ihre Passion für emotionale, vitale, ja mitunter flirrende Farben. Das erweist sich auch bei den Tableaus, die aus klein(st)en Strukturen und (figürlichen) Details ein großes Ganzes erschaffen. Die Malerin arbeitet mit Öl oder Acryl oder auch mit Kohle. Signifikant sind Kompositionen aus Natur- Materialien, Leinwand und Farbe. „Oftmals grundiere ich meine Leinwände mit Bambus, Papier, Sand oder Steinen.“ So erhält der bildnerische Eindruck mehr Tiefe. Ebenso gern kommen Naturtöne oder auch metallische Valeurs ins Spiel, wobei die Metallpigmente unter Licht besonderen Glanz ausstrahlen. Adiam Hailesillassie ist Autodidaktin, die schon seit 1999 künstlerisch intensiv arbeitet und ihr Können bei Kunstkursen vertieft(e). Inspiration bezieht sie „aus der Arbeit mit Menschen“, aus der (schöpferischen) Auseinandersetzung mit Religion, insbesondere Christentum und Buddhismus, und aus ihren Reisen nach und Aufenthalten in Eritrea, Rom, dem Sudan und Ägypten. Ein Schlüssel zu ihrem Schaffen liegt in ihrer Biografie, die ihr trotz allem ein positives Lebensgefühl nicht nehmen konnte: 1974 geboren, erlebt sie als Kind den Tod der Eltern und den Krieg in der Heimat Eritrea. Schon als Neunjährige kommt sie nach Deutschland – und geht bald ihren Weg. Das Titelbild dieses Katalogs zeigt ein Gesicht, in das andere Physiognomien und Figuren kunstvoll integriert sind. So lässt die Malerin den Betrachter etwas ganz sinnfällig erfahren – wie man auf ein, in ein und hinter ein Gesicht blickt.
Egon Heidefeld Galerie Heidefeld & Partner